Sonntag, 9. März 2014

Die Escort Agentur

Nun schnell unter die Dusche, der Tag war lang und anstrengend. O ja, ich freue mich schon den ganzen Tag auf diesen Abend in Berlin. Immerhin war ich schon drei Monate nicht mehr hier.
Gestern schaffte ich es noch bei der Escort Agentur anzurufen und Leon zu buchen.
Leon, allein der Klang des Namens verursacht mir ein wohliges Bauchgefühl.
Ich brauchte der Agentin nicht viel zu erklären. Leon kennt das Hotel, aber vor allem kennt er meine Wünsche.
Sicher wird es wieder ein toller Abend und eine Nacht, von der ich eine Weile zehren kann.
Die letzten Male brachte er mir immer meine Lieblingsblumen mit. Klar, die sind im Preis enthalten. Bei diesem Mann kann ich alles vergessen, selbst, dass er ein käuflicher Bursche ist.
Ich stehe unter der Dusche und denke an seinen muskulösen Körper. Vor allem aber, an seinen knackigen Po. Ich schmunzle vor mich hin. Ich liebe es, zwischen seine Pospalte mit meiner Zunge ...oh, oh meine Gedanken.

Hätten meine Fachkollegen heute in meinen Augen gelesen, sie wären sicher echauffiert.
Aber wer kommt schon auf den Gedanken, dass eine taffe Geschäftsfrau auch ein Sexleben hat.
Schließlich nutze ich immer nur diese wenigen Nächte, in denen ich zu Tagungen fahre.
Beim letzten Mal, als ich am Morgen unter der Dusche stand, kam Leon mit einem verschmitzten Lächeln mit hinein. "Madame, eine kleine Zugabe, damit du mich nicht vergisst."
Ich spüre nicht das Wasser auf uns hinab rieseln. Er spielt als Virtuose gekonnt seine Instrumente, sein ganzer Körper ein einziges Orchester.
Von Paganini wird immer wieder erzählt, dass er seine Geige wie andere Instrumente, Vogelstimmen oder sogar menschliche Stimmen klingen lassen konnte.
Ich sitze nicht im Publikum, bin selbst Instrument und auch wieder nicht. Stets in das Geschehen "auf der Bühne" involviert. Kann ich meinen Körper alles Mögliche sein lassen.
Ohne Leidenschaft keine Genialität! Diese Inbrunst finde ich bei Leon und sie überträgt sich. Bei ihm fühle ich mich in einem Rauschzustand, immer und immer wieder.
Ich gebe mich gerne seinen Spielkünsten hin.
Nun muss ich mich aber sputen, also schnell noch fein machen und ins Kleid schlüpfen.
Die Karten fürs Klavierkonzert liegen schon im Zimmer. Ein Franz Lisztabend hat das Hotel für uns geordert.
Es klopft an der Tür. Als ich öffne, steht dort nicht mein Gigolo.
Doch auch dieser gutaussehende Begleiter ist mir nicht unbekannt.
Wir müssen uns beide erst einmal von unserem Schreck erholen. Vor mir steht die erste zarte Liebe meiner Jugend. Auch Ronny erkannte mich nach fast 25 Jahren auf den ersten Blick..
Er entschuldigt Leon, der leider mit Fieber im Bett liegt.
Ronny und ich haben uns so viel zu erzählen.
Morgens befindet sich in meinem Speicher eine neue Handynummer.
Die Escort Agentur ist für die Nächte in Berlin nun Geschichte.

Begegnung mit der Kinderliebe

Erst jetzt, in der Dämmerstunde, finde ich deinen Namen. So schweige ich lange in dieser Ruhe, die unsere Träume von damals erwachen lässt.
Kannst du dich erinnern? Gerade einmal zweihundert Meter von hier, im Pfarrgarten, trafen wir uns oft heimlich. Im mannshohen Gras suchten wir uns ein Plätzchen unter dem Kirschbaum. Stundenlang schmiedeten wir Zukunftspläne. Schließlich einigten wir uns auf den Kamin in der guten Stube und drei Kinder, zwei Mädchen und ein Junge. Na ja, du diskutiertest so lange, bis ich nachgab.
Für mich war es eine schlimme Zeit, als meine Eltern mit mir fortzogen. Viel zu weit weg von dir. Schade, dadurch verloren wir uns zu schnell aus den Augen.
Ich dachte all die Jahre noch oft an dich. An unsere ersten zaghaften und verbotenen Küsschen, unseren Schwur, uns immer zu lieben. Was verstanden wir schon von Liebe und dem Leben? Und doch, viele Jahre wartete ich auf einen Antwortbrief, auf ein Lebenszeichen von dir.
Hast du nie meine Post erhalten?
Nach meiner gescheiterten Ehe brachen die Erinnerungen an unsere unschuldige Kinderliebe erneut auf. Doch hatte ich nicht den Mut, an deine Tür zu klopfen.
Überzeugt, ein Mann wie du, der hat eine nette Frau und Kinder.

Die Zeit vergeht. Es ist spät geworden.
Ich komme wieder zu deinem Geburtstag, das verspreche ich. Ich bringe Kornblumen mit. So wie vor fast vierzig Jahren zu deinem zwölften Geburtstag. So viele hatte ich gepflückt, dass ich sie kaum halten konnte mit meinen kleinen Händen. Du strahltest mich an und wir breiteten sie wie einen Kranz um unser Geheimlager aus.
Ja, ich komme wieder. Ich möchte dir noch so viel erzählen.

Meine Zeit auf der Insel Usedom

Im Jahre 1970 zog meine Familie in ein kleines Dorf ins Thurbruch auf Usedom. Unser neues Zuhause waren fünf Zimmer in einem Zweifamilienhaus. Genau richtig für meine Eltern, mich und meine sieben Geschwister, im Alter von sechs bis sechzehn Jahre. Nach dem Gutshof, das größte Haus im Dorf. Unter unserer Wohnung befand sich ein großer leerstehender ehemaliger Kulturraum der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG).
Das Dorf bestand aus fünfzehn Bauernhäusern, einem Gutshof mit Park, einer Grundschule und diversen Stallgebäuden. Nach meinen Schätzungen lebten ungefähr neunzig bis einhundert Seelen im Dorf, davon fünfzehn Jugendliche, im Alter bis zu fünfundzwanzig Jahre.
Als wir einzogen, war es eine Sensation fürs ganze Dorf. Nicht wegen der Anzahl der Kinder, sondern wegen des Ereignisses an sich. Denn wir waren Fremdlinge und kamen nicht von der Insel. Selbst der Bürgermeister und der Besamungstechniker kannten uns nicht. Obwohl gerade die Beiden, weit herumgekommen waren.
Noch viel schlimmer für die Bewohner war, dass sich unter der ganzen Horde Kinder, die meine Eltern im Schlepptau hatte, drei Mädchen befanden. Die Krönung des Ganzen, wir Mädels waren keine Kinder mehr. Erste frauliche Züge waren zu erkennen und somit waren wir ein Dorn im Auge der Alteingesessenen.
Sofort nahmen sich die Bauern ihre gefährdeten Sprösslinge vor. Sie warnten eindringlich vor den Zugereisten. Vor allem vor den "flotten Käfern mit den viel zu kurzen Röcken". Die Dorfmütterchen beknieten ihre Alten, die Buben müssten endlich aufgeklärt werden. Vorrangig die Großen, die ihre sechzehn Lenze schon überschritten hatten.
Der Ort war drei Tage in allgemeine Aufruhr, bis der Alltag so allmählich wieder einziehen konnte. Aber am vierten Tag passierte, was nie hätte passieren dürfen.
Die am Gutspark gelegene, mit großer Sorgfalt gepackte Strohmiete der Dorfgemeinschaft war völlig ramponiert. Die obersten Strohballen lagen unten und waren geöffnet. Man könnte meinen, sie waren absichtlich zu einem Bett geformt worden.
Die Bauern standen, teils mit den Melkkannen, teils mit Pfeife oder Zigarrenstummel in der Hand im Park. Debattierten und sinnierten über das unglaubliche Geschehen. Einige der Männer feixten innerlich über die Schnelligkeit ihrer Stammhalter. Wer hinter dem Chaos steckte, war ihnen klar, da gab es kein Vertun. Ohne viel Radau waren sich alle einig, hier müssten härtere Bandagen angelegt werden. Hauptsächlich, um den häuslichen Frieden am eigenen Herd zu erhalten.
Gerade wollten sie nach den langen Überlegungen und Diskussionen auf ihre Höfe zurückkehren, als sie seltsame Bewegungen und Geräusche hörten.
Die Strohmiete schien sich erneut zu bewegen.
Eine Rehmutter mit ihrem Kitz kam unschuldig blickend aus der besagten Miete.
So war das Gelächter groß und wir aufgenommen in der Gemeinschaft.
Die Milchrampe an der Dorfstraße war der Treffpunkt der Jugend. Hier tobte das Leben bis zum Abend. "Dabei sein" bedeutete für die meisten, der Langeweile zu entkommen, um etwas zu erleben.
Die Kleinen scheuchten wir spätestens zur Sandmännchenzeit nach Hause. Ständig hingen sie wie widerliche Kletten an uns Größeren, nur um Neuigkeiten aufzuschnappen und uns dann bei den Eltern zu verpetzen. Oft mussten sie mit zehn Pfennig oder Bonbons bestochen werden, damit sie ruhig blieben und sich verdrückten.
Sofern es schummerig wurde, zogen wir in kleinen Grüppchen in den Gutspark. Irgendetwas Neues gab es immer zu berichten. Dort unbeobachtet, teilten wir uns, die von den Eltern geklauten Zigaretten. Zum Ärger der Erwachsenen und von ihnen als jämmerlichen Krach bezeichnet, hörten wir Beatmusik. Nur zwei Jugendliche besaßen ein Kofferradio, dass aber überall hin mitgenommen wurde. Das Zusammengehörigkeitsgefühl unter uns war riesig. Unterschiede zwischen arm und reich kannten wir nicht. Die Lebenszufriedenheit resultierte aus vielen kleinen Dingen des Alltags. Hier durfte Jeder sein, wie er war. Niemand wurde ausgegrenzt, nur weil er nicht die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten der Allgemeinheit hatte. Hier wohnte eine Familie mit zwei geistig behinderten Kindern. Sie wurden von den Gleichaltrigen überall zum Spielen mitgenommen. Alle wuchsen in gesunder Luft auf, der Freiraum zum Toben und das Erwachsenwerden erstreckte sich auf das ganze Dorf und deren Umgebung mit Wäldern, Wiesen und Seen. Wir Kinder hatten bestimmte Aufgaben selbstverständlich und ohne Widerrede zu erfüllen. Und wir gehorchten, ohne zu mucken. Ich konnte Kühe melken, bevor ich das Einmaleins erlernte.
Es gab die Dorfschule für die Grundschüler. Dort wurden die ABC-Schützen der ersten und zweiten Klasse von einer Lehrerin unterrichtet. Alle anderen mussten mit dem Schulbus nach Zirchow. Einem größeren Ort der ungefähr acht Kilometer entfernt vom Dorf lag. Der Bus nannte sich zwar Schulbus, nahm aber auch alle Erwachsenen mit, die Erledigungen auf der Strecke tätigen mussten.
Von Zirchow aus gingen dann auch die regulären Buslinien mehrmals am Tag in die größeren Orte wie Heringsdorf und Ahlbeck.
Für uns endete der Schultag in der Regel um vierzehn Uhr nach dem Mittagessen. Das Schulessen war in der Regel üppig und abwechslungsreich. Nicht immer stiegen wir dann an unserer Haltestelle im Dorf aus. Zu verlockend war der "Tante Emma Laden" im nächsten Ort. In dem Laden gab es alles, was man für den täglichen Bedarf brauchte. Uns interessierten hauptsächlich die Süßigkeiten. Lakritzstangen waren der große Renner und das Stück kostete nur zehn Pfennig. Dafür nahmen wir dann auch den Fußweg von zwei Kilometern in Kauf. Die jüngeren Geschwister bekamen immer ihren Anteil von unseren Erwerbungen ab. Sie hatten schnell mitbekommen, warum wir nicht pünktlich zu Hause waren.
Die Eltern erledigten den wöchentlichen Einkauf mit dem Familienfahrrad. In jeder Familie existierte zu dieser Zeit ein solches Gefährt, ein zweites zählte bereits zum Luxus. Leckereien waren selten bei ihren Einkäufen dabei und wenn, dann wurden sie von der Mutter gut gesichert verwahrt. Bonbons und Schokolade gab es nur als Belohnungen für zusätzlich erledigte Arbeiten im Haushalt. Größere Anschaffungen, wie Bekleidung und Haushaltsgegenstände wurden in den Familien längere Zeit vorausgeplant. Dann nahmen sich die Eltern den ganzen Tag frei und fuhren mit dem Bus in die Stadt. Das kam allerdings nur wenige Male im Jahr vor.
Selbst eine Arztpraxis befand sich im Nachbardorf, die mehrmals wöchentlich geöffnet hatte. Wenn der Arzt oder die Dorfschwester auf Hausbesuche gingen, hängten sie einen Zettel an die Tür, wann sie wieder zu erreichen waren. Oft wurden sie von älteren Bewohnern oder wenn Kinder erkrankt waren gerufen.
So spielte sich das Leben in einem engen Kreis ab. Feste wurden gemeinsam ausgerichtet. Doch zu feiern gab es immer etwas. Jede Geburt wurde kräftig von der erwachsenen Dorfgemeinschaft gemeinsam begossen. Jeder Verstorbene wurde gebührend vom Dorf verabschiedet. Hochzeiten waren immer Ereignissen des gesamten Dorfes.
Mit einem Schmunzeln erinnere ich mich immer noch an die Vermählung der einzigen Tochter unseres Nachbarn. Lange wurde sie vorbereitet. In fast allen Häusern duftete es nach Kuchen und Gebratenem. Jeder Gratulant brachte etwas Praktisches, meistens Essbares oder Flüssiges mit. Sogar wir Jugendlichen durften zur Feier des Tages auch ein Glas Wein trinken. Es wurde bis in die Nacht hinein getanzt. Im ganzen Trubel unbeobachtet organisierten wir Jüngeren uns einen ganzen Gärballon gefüllt mit Fruchtwein. Gärballons sind große bauchige Glasflaschen in denen Wein für den Hausgebrauch hergestellt wurde. Wir taten uns daran gütlich und mit jedem Gläschen schmeckte er immer leckerer. Irgendwann waren wir alle sturzbetrunken. Das war mein erster richtiger Rausch.
Da unsere Eltern am folgenden Morgen selbst genug damit zu tun hatten, ihre eigenen Köpfe klar zu bekommen, wurde
dieser Vorfall zu keinem Staatsakt in den Familien.
Anfang Dezember einigten sich die Nachbarn untereinander, an welchem Tag geschlachtet wurde. Nicht alle hatten mehr Hausschlachtungen, der Aufwand war vielen zu groß geworden. Viele der Bauern lieferten ihre Schweine beim Schlachthof ab und kauften dann nur eine Schweinehälfte zurück.
Wir allerdings schlachteten noch selbst. Dann musste der Trichinenbeschauer bestellt und kräftige Hilfe organisiert werden. Der Schlachtplatz wurde vor dem Stall hergerichtet und besonders gut gereinigt. Jeder aus der Familie hatte seine Arbeit zu verrichten. Wannen schrubben, Einweckgläser spülen oder, heißes Wasser bereithalten. Diese Aufgaben wurden von uns Kindern erledigt. Vom Schlachtakt selbst bekamen wir nur das Quieken des Schweines mit. Nach und nach wurden dann Schweineteile und das Blut in die Waschküche getragen. Dann erst durften wir wieder mithelfen. Blutrühren war anstrengend und ich fand den Geruch als sehr unangenehm. Aber das sprach mich nicht davon frei, meine Mutter dabei zu unterstützen. Es wurde bis in die Nacht hinein gewirtschaftet. Schinken, Speckseiten und Pfoten kamen ins Pökelfass. Speck und Flom wurde gleich zu Griebenschmalz verarbeitet. Die sauberen Därme mit dem im Fleischwolf durchgedrehten und mit Gewürzen angereicherten Mett gefüllt. Kleinfleisch wurde zu Sülze verarbeitet und kam in Einweckgläser, wie auch das Griebenschmalz und die Blutwurst. Fast eine Woche ging ins Land, bis der Schinken im Rauch hing, alles andere aufbereitet war und die Küche wieder glänzte.
Damit wurde die ruhige Weihnachtszeit eingeläutet. Es begannen die langen Abende in der Familie mit der Geheimniskrämerei zum Fest. Jeder zog sich in ein Eckchen der Wohnung zurück. Es wurde gestrickt, gebastelt und gehämmert. Alle machten ein Rätsel aus ihren Tätigkeiten. Wir großen Mädels verschwanden dann oft heimlich um uns mit den Jungs des Dorfes zu treffen. Viele Jugendliche schmiedeten gemeinsam den Traum, später einmal in die Stadt zu ziehen. Doch es waren mehr oder weniger Träumereien.
Die Urgroßeltern, die Haus und Hof aufgebaut hatten, vermittelten den Kindern und Enkeln einen ganz besonderen Stolz auf die eigene Scholle. Obwohl das Ackerland längst in genossenschaftlicher Hand war, wusste doch jedes Kind, wo der Grenzstein zum Nachbarn stand.
Sobald die Tiere für den Winter eingestallt wurden, suchten wir jungen Leute auch nach Wärme. Oft hielten wir uns in der Veranda bei einem Freund auf, dessen Vater LPG-Vorsitzender war. Sehr gerne gesehen waren wir dort nicht. Immerhin tauchten wir in Gruppen von acht bis zehn Personen auf. Hörten laut Musik oder spielten Skat, wobei es oft zu Wortgeflechten kam.
An einem Nachmittag überraschte der LPG-Vorsitzende mit einer Einladung. Wir sollten uns alle vor dem ehemaligen Kulturraum einfinden. Dort drinnen war es kuschelig warm und wir wurden mit Tee und Kuchen empfangen. Er stellte uns seinen Begleiter, einen Mann von der Kreisleitung der Freien Deutschen Jugend (FDJ) Wolgast vor. Der bot uns Jugendlichen diesen großen Raum als unser zu Hause an. Wir konnten über alles hier verfügen, den Bücherbestand als den Unseren betrachten und auch die kleine Küche benutzen.
Wir freuten uns und unsere Herzen schlugen höher. Es gab nur eine einzige formale Bedingung. Wir sollten sofort eine Dorf-FDJ-Gruppe gründen. Wir hatten keine Einwände und wählten spontan den FDJ-Sekretär. Wolfgang, der auch das Kommando in der Klicke hatte wurde einhellig auch hier zum Chef. Mich ernannte die Gruppe zur Schriftführerin und zum Kassenwart.
Ab diesem Tag hielten wir uns jeden Abend in diesem Raum auf. Wir richteten ihn gemütlich ein, so gut wie es bei einer Raumgröße von drei mal sieben Metern ging. Als Erstes besorgten wir uns Übergardinen. Wir hatten keine Lust darauf unter ständiger Beobachtung der Alten zu sein. Irgendjemand brachte ein Kofferradio mit und so hörten wir unsere Musik auf dem Sender: „Jugendstudio DT64“. Es war das erste Radioprogramm der DDR, das sich gezielt an „die Jugend“ richtete. Neu gegründete Musikgruppen trafen genau unseren Geschmack.
Stundenlang schwärmten wir von "Karat", den "Puhdys" und "City".
In unserem neuen zu Hause planten wir unsere großen und kleinen Unternehmungen. Wir gaben unseren Abenden und Ausflügen einen soliden Namen. Zu unserer wilden Jugendzeit gehörte die Weihnachtsfeier, die zum Besäufnis wurde genauso, wie die Organisation des Ostereiersuchens für die Kleinen.
Auch heute ist mir der gemeinsame Kinobesuch in lebendiger Erinnerung. Meine Schwester und ich fuhren als Sozius bei unseren Freunden mit, die einen Star und eine Schwalbe hatten. Diese Mopeds waren der große Renner. Jungs sparten von ihrem Lehrlingsentgelt zuerst auf solche Maschinen.
Der Film, "Heißer Sommer" mit Musik von Chris Doerk und Frank Schöbel war für uns der absolute Hit. Tagelang war es das Gesprächsthema bei der Dorfjugend. Wir Mädchen schlenderten die Dorfstraße zu fünft entlang und sagen aus fröhlicher Kehle: "Männer, die noch keine sind", ein Lied aus diesem Film.
Wir fuhren gemeinsam in die Kreisstadt Wolgast und besuchten dort das Heimatkundemuseum. Gelder dafür erhielten wir von der FDJ-Kreisleitung. Als sie mitbekamen, dass Wolfgang kein Mitglied der Freien Deutschen Jugend war, wurde die Wahl annulliert. Wolfgang war bereits einundzwanzig und wollte nicht in die FDJ eintreten. Ich rückte zur FDJ-Sekretärin auf und ein anderer Schriftführer hatte sich gefunden. Es gab einige Jugendliche ohne FDJ-Ausweis im Dorf. Für uns als Gruppe spielte es keine Rolle, denn sie nahmen auch weiterhin an unseren Aktionen teil.
In den Sommerferien pendelten wir zwischen dem Kachliner - und Gothensee. Die Jungs brachten ihre geangelten Fische und manchmal ein geklautes Huhn vom Nachbarn zum abendlichen Lagerfeuer mit. So vergingen die Sommerferien rasend schnell.
Im Sommer 1972 fuhren wir mit unserer Klicke nach Polen, der visafreie Grenzverkehr ermöglichte es uns. Auf einem Parkplatz vor der Grenze stellten wir unsere Fahrräder und Mopeds ab. An der Grenze wurden wir schnell abgefertigt. Wir zeigten den Ausweis vor und schon waren wir in einem fremden Land. Der Grenzort Swinemünde (Swinoujscie) war damals selbst in unseren Augen bedauerlich heruntergewirtschaftet. Die Taxen, die dort fuhren, sahen
so lebensgefährlich aus, dass wir die drei Kilometer bis ins Zentrum lieber zu Fuß gingen. Aber dafür wurden wir belohnt.
In den Läden gab es vieles zu kaufen, das wir bei uns im Dorf oder in der Stadt nicht erwerben konnten. Ich leistete mir einen kurzärmligen zitronengelben Strickpulli mit aufgestickten bunten Blümchen und eine Schlaghose. Dabei ging zwar mein ganzes Erspartes drauf, aber das war es mir Wert. Die Menschen, die uns dort begegneten, waren nicht gerade freundlich zu uns. Nachdem wir einmal als deutsche Nazis von einem alten Polen beschimpft wurden fuhren wir nicht mehr über die Grenze. Wir wussten zwar, das Swinemünde kurz vor Ende des 2.Weltkrieges fast völlig zerstört und dabei zig tausende Bewohner ums Leben kamen, doch was konnten wir jungen Leute dafür? Nach kurzer Diskussion stand für uns fest, da mussten wir nicht wieder hin.
Zumal auch nur noch wenig Freiraum für längere Ausflüge blieb, denn mit Anbruch des neuen Schuljahres begann die Vorbereitung auf die Abschlussprüfungen. Außerdem mussten einige von uns sich immer noch um eine Lehrstelle bemühen.
Trotz aller Vorbehalte meines Vaters, entschied ich mich für eine Berufsausbildung in der Landwirtschaft. Mein Vater, selbst immer auf dem Land tätig, wusste wie körperlich belastend der Beruf für Frauen war. Doch ich wollte ihm beweisen, dass ich es schaffe. Er sollte Stolz von seiner Tochter erzählen können und das tat er später dann auch.
Nach Abschluss der zehnten Klasse nahm ich eine Lehre zur Zootechnikerin in Vogelsang bei Güstrow auf. Damit fing
ein neuer Lebensabschnitt, fern der Heimat, im Internat für mich an.
Im ersten Lehrjahr nach Abzug der Internatskosten blieben etwa sechzig Mark im Monat für mich über. Davon leistete ich mir alle vier bis sechs Wochen eine Heimfahrt. Hinzu kam, dass die Zugfahrt fast zehn Stunden dauerte.
Nach meiner Lehre begann ich dann sofort mit einem Studium zur Agraringenieurin in Güstrow.
Allmählich entfremdete ich mich von meinen ehemaligen Freunden und so blieb es dann bei wenigen Besuchen. Doch meine Jugend, dort auf der Insel, bleibt als wundervolle, erlebnisreiche Zeit in meiner Erinnerung.

Traumpfade

Mit dem Sandmännchen ins Bett
Geschwungene Rankenmuster
Der Schnörkeltapete kränkten
Kinderaugen -
Sterne ausgesperrt

Die bezaubernde Jeannie
Mein Sternchen
Verbannt aus Kinderstuben
Ich lag unten -
Im hölzernen Etagenbett

Eine klaffende Lücke
Blieb am Himmel
Das Warten und Grübeln
Schrie in der Nacht
Unbekannte -
Planeten wucherten

Ein Dorf in Aufruhr

Stell Dir ein 100 Seelendorf vor. Gelegen in der äußersten Pampa der Insel Usedom.
Die Menschen haben dort 50 Jahre den Ort nicht verlassen. Außer sie hatten ein größeres Wehwehchen und mussten zwangsläufig damit in die 30 km abgelegene Kreisstadt.
Dann kommt der Tag im Jahre 1970.
An diesem Tag zieht eine Familie in das Dorf, nicht nur Vater, Mutter, Kind, Hund und Katze. Zum Hausstand gehören acht halbwüchsige Kinder. Eine Sensation fürs ganze Dorf. Nicht die Zahl der Kinder, aber das Ereignis an sich. Es sind Fremdlinge, selbst der Bürgermeister und der Besamungstechniker kennen sie nicht. Obwohl gerade die Beiden, weit herum gekommen sind.
Von der Insel, so die einhellige Meinung kommen diese Leute nicht.
Viel schlimmer aber noch, unter der ganzen Horde Kinder, die sie im Schlepptau haben, sind drei Mädchen.Die Krönung des Ganzen, die Mädels sind keine Kinder mehr. Die Dorfgemeinschaft schätzt sie im pubertierenden Alter, denn erste frauliche Züge sind schon zu erkennen.

Da ist es doch naheliegend, die Bauern nehmen sich ihre gefährdeten Sprösslinge vor. Sie warnen eindringlich vor den Zugereisten. Vor allem vor den "flotten Käfern mit den viel zu kurzen Röcken". Die Dorfmütterchen beknien ihre Alten, die Buben müssten endlich aufgeklärt werden. Vorrangig die Großen, die ihre sechzehn Lenze schon überschritten haben.
Der Ort ist drei Tage in allgemeine Aufruhr, bis der Alltag so allmählich wieder einziehen kann.
Doch am vierten Tag passiert, was nie hätte passieren dürfen.
Die am Gutspark gelegene, mit großer Sorgfalt gepackte Strohmiete der Dorfgemeinschaft ist völlig ramponiert. Die obersten Strohballen liegen unten und sind geöffnet. Ja, man könnte meinen, sie sind absichtlich zu einem Bett geformt worden.
Die Bauern stehen, teils mit den Melkkannen, teils mit Pfeife oder Zigarrenstummel in der Hand im Park. Es wird debattiert und sinniert. Einige feixen innerlich über die Schnelligkeit ihrer Stammhalter. Ohne viel Radau sind sich aber doch alle einig, hier müssen härtere Bandagen angelegt werden. Hauptsächlich auch, um den häuslichen Frieden am eigenen Herd zu erhalten.
Gerade wollen sie nach ihren Überlegungen und Diskussionen auf ihre Höfe zurück kehren, als sie seltsame Bewegungen und Geräusche hören.
Die Strohmiete scheint sich erneut zu bewegen.
Eine Rehmutter mit ihrem Kitz kommt ganz unschuldig blickend aus der besagten Miete

Wortwendungen

Tragödie erster Teil
Faust spricht:
"Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
das ist im Grund der Herren eigner Geist,
in dem die Zeiten sich bespiegeln“

die Herren unserer Zeit erfinden
Wortschönheiten
das Restrisiko wird zwischengelagert
im Land verbleibt
die Rentnerschwemme
Steuerflüchtlinge gehen in die Schweiz
freigesetzt wird der Arbeiter
ganz human
der finale Rettungsschuss
Regierungen sprechen von
Kollateralschäden wo
humanitäre Einsatztruppen operieren
mit einem robusten Mandat
und das Volk wählt
die Willigen entscheiden
über eine begrenzte Militäraktion

Dorfgeschichte II - Was ist nur aus dieser Welt geworden?

Die Uhr schlägt schon eins in der Frühe, als Erna durch Geräusche in der Küche geweckt wird. Ihren Mann findet sie völlig verstört mit einer Flasche Bier vor. "Du siehst aus als ob du auf der Bürgermeisterkongress von einem bevorstehenden Weltuntergang gehört hättest."
Der Bürgermeister macht ein noch gequälteres Gesicht.
"Oh Gott, nein, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Das gibt eine Katastrophe, wenn das durchsickert. Bitte Erna, bitte, ich muss es los werden. Aber versprich mir, kein Mensch darf davon erfahren."
Erna setzt sich erst einmal. Sie kennt ihren Hannes zu genau, so schnell bringt ihn nichts aus der Fassung.
"Erna, du kennst doch die Greifswalderstaße in Stralsund und weißt, was sich da nachts tummelt seit den letzten 10 Jahren. Die Sitzung ist gegen 23,30 Uhr vorbei. Ich mache mich gleich auf den Heimweg. Fahre wegen der 30iger Zone langsam durch diese verruchte Straße. Und, du wirst es nicht glauben wen sehe ich dort?"
"Lass gut sein Hannes, die Kerle hier im Dorf sind alle keine Heiligen. Nun sag schon wer war es? Ach ja ich kann es mir denken, Paul oder Werner. Die schauen doch jedem Rockzipfel hinter her. Stimmt es, sag schon."
"Dat kannst mi glööven, wi heft voor unsre egen Döhr sofehl Dreck"
"Ach Mann rede hochdeutsch, du überschlägst dich gleich wieder."
"Nein Frau aber ich mag es gar nicht aussprechen. Unser Herr Pastor stand an der Straße. Bitte Erna, das gibt ein Unglück. Er stand nicht als Kunde der Straßendirnen da. Wenn es das wenigstens wäre, ich hätte nur gefeichst und es verstanden.Der hat ja nur die alte Trude als Zugehfrau.
Er, der Pastor Lehmann, in kurzem Lederrock und roten Hakenschuhen und, und mit blonder Perücke. Pfui Teufel, du hättest ihn sehen sollen.
Was mach ich bloß, das mir, in meiner Gemeinde. Eine Transe, oder wie man sagt, ein Pastor auf dem Straßenstrich. Was ist nur aus dieser Welt geworden."
"Ach Gott Hannes, komm auf den Schreck kippe ich uns erst mal einen ein."
Beide versuchten nach dem Schnaps zu schlafen. Doch sie wühlten noch lange in ihren Betten ohne zur Ruhe zu kommen.
Erna hatte das Frühstück schon auf dem Tisch als es klingelt. Hermann Gruber der Dorfpolizist stand vor der Tür. Erna empfing ihn mit den Worten:" Gruber ich darf dir nichts sagen, aber ich wecke mal schnell den Hannes. Der hat die Nacht so wenig Schlaf bekommen. Aber das erzählt er dir lieber selbst." Erna verschwand um Hannes Bescheid zu sagen.
Es dauerte nicht lange und Hermann verlässt als Eingeweihter das Bürgermeisterhaus.
Bis zum Abend des gleichen Tages brannte die Gerüchteküche.
Nun am Sonntag ist die Kirche, wie seit 100 Jahren nicht mehr, gefüllt. Der Einzige der sich wundert ist der Pastor. Da er seinen 40. Geburtstag an diesem Tag feiert, glaubt er, die Gemeine will ihm damit seine Hochachtung aussprechen.
In seiner Predigt spricht er von großer Freude, die verlorenen geglaubten Schäfchen hier versammelt zu haben. Er spricht von der Tugend, lobt den Sonntag als Feiertag. Verkündet, ein anonymer Spender hat 50.000,- Euro auf das Kirchenkonto eingezahlt die zur freien Verfügung der Gemeinde stehen. Erst geht ein Raunen durch die Bänke, dann ein Schweigen.
Der Gottesdienst endet und alle Gemeindemitglieder verabschieden sich zurückhaltend.
Wie üblich treffen sich der Gemeinderat und der Pastor "Im Eck" so heißt die Dorfschenke.
Hannes und Hermann sind sich auf dem Weg dorthin einig. "Wir müssen Lehmann darauf ansprechen, unser Dorf kommt in Verruf!
Beide staunen nicht schlecht, am Stammtisch sitzt eine elegante Frau. Sie ist dem Herrn Pastor wie aus dem Gesicht geschnitten.

nie docht, immer nur flamme

ja damals, damals brannte ich für alles.
steckte damit viele kerzen an. trug haufenweise sonnenplaneten in mir.
wollte die ganze welt erhellen.
immer waren es meine hände die umsorgten und hüteten, auch das feuer.
doch das feuer in mir vergaß ich. vergaß, wie die wärme schmeckt.
die wärme des anderen am morgen danach.

jetzt aber sehe ich, ... schatten hinter dem licht.

die flammen der leidenschaft

die flammen der leidenschaft
die einst lichterloh brannten
sind erloschen
sie pickte jede brosamenliebe
schluckte sie
wie möwen die mücken im flug
unverdaut lagern sie immer noch
wackersteine im magen
doch die große liebe fand sie nie
nicht, dass sie nicht liebte, nicht alles gab
nur das bisschen glück war immer stumm
damit konnte sie nicht lange
es fehlte der schatten hinter dem licht

licht, dass den blick weitet
schatten durchdringt und den rahmen des bildes verdichtet
sie tastete im dunkeln den horizont ab
hoffte eines tages dort intarsien zu finden
feste formen und begehbare punkte
einen halt
ohne signalwirkung, ohne achtungzeichen
nun steht sie vor ihrem spiegelbild und
sieht verloren aus im hölzernen rahmen
nur blinde flecken im glas bleiben
oxidiert an der rückwand und unsichtbar am tag
sie kann immer noch nach außen lächeln mit dem eisblau

männer sahen stets zuerst ihre augen
dieses lodernde und
die fuchsroten haare, diese mähne
die sie sich heute blond wäscht
heute lächelt sie wieder
ihr, "ich will doch nurspielenblick"

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