Donnerstag, 1. Januar 2015

Und in ihr tobt das Weib

Und in ihr tobt das Weib

Ihr Wunsch fortzugehen, war an zeitliche Perioden gebunden. Sie hätte sich gerne aus der selbst auferlegten Geiselhaft befreit. Nach Außen erschien sie als rührselige, verständnisvolle Ehefrau. Doch in ihrem Innern brodelte das Bedürfnis Versäumtes Glück der Jahre nachzuholen.
Als ihre Periode vor sieben Jahren allmählich ausblieb, hoffte sie, auch das Verlangen nach Veränderung würde nun ein Ende nehmen. Doch nichts änderte sich, weder der Gedanke an einen Neuanfang, noch der Zauber, den das andere Geschlecht auf sie ausübte. Zur Mitte des Monats überkam sie eine solche Lust Zärtlichkeiten zu empfangen, dass sie sich angesichts ihrer neunundfünfzig Jahre schämte.
Je mehr sie nach hemmungslosem Sex gierte, umso abweisender reagierte sie auf jede nette Berührung ihres Mannes. Nett, einfach nur nett! Sie hasste ihn oft dafür, flüchtig gestreichelt zu werden. Nach seiner Krankheit gab es für sie beide kein gemeinsames erotisches Erleben mehr. Zu Anfang entschuldigte er sich noch dafür. Später wurde das Thema, ebenso wie der Weihnachtsbraten, von der Speisekarte ersatzlos gestrichen.

Sie konnte sich für die Lage, in der sie sich befand, nur einen Vorwurf machen. Als sie Ende dreißig als junge Witwe ihren jetzigen Mann kennen lernte, hatte sie seine Lernfähigkeit überschätzt.
Das erste Ehejahr verlief noch einigermaßen harmonisch und sie musste nicht um jede Zärtlichkeit betteln. Doch schon bald wusste sie, sie hatte mit diesem Mann keinen Sechser im Lotto gewonnen. Er war ein Grobmotoriker, auch wenn sie sein Bemühen erkannte, ihr beim Vorspiel sexuelle Lust zu verschaffen. Nach und nach nahm seine Freude an Sinnlichkeit ab. Sie wurde manchmal richtig hysterisch. Vor allem, wenn er sich von hinten an sie kuschelte und dann wie ein Kind einschlief. Das war wie Folter. Sie platzte fast vor Verlangen nach ihm, und er? Er schnarchte.

Sie zog sich zurück. Verschaffte sich durch ihre Vorstellungskraft Befriedigung. Sie konnte sich in Tagträume so hinein steigern bis sie ihren Höhepunkt hatte und ermattet, wie nach gutem Sex vor sich hin schlummerte. Oft erinnerten ihre Traumpersonen an so reale Erlebnisse, dass sie aufpassen musste, Realität und Fiktion nicht zu verwechseln.
Gelegentlich gönnte sie sich das Vergnügen, in die Stadt zu fahren. Dann reichte schon ein nettes Männerlächeln beim Frisör, der Blickkontakt eines Verkäufers am Kiosk oder ein knackiger Hintern in der Einkaufspassage, um ihre Lust erneut zu wecken. Sie fragte sich oft, wann ihre Fantasien wohl nicht mehr so ausschweifend sein würden.

Schließlich hatte sie seit fast fünf Jahren ein Verhältnis mit dem Mechaniker ihrer Vertragswerkstatt. Das erste, was ihr bei diesem Mann auffiel, waren seine schlanken Hände, die alles mit Bedacht anfassten, als wäre ihr Tastsinn für etwas Besseres als Autos geschaffen. Er schleppte ihr Auto in die Werkstatt. Versprach, am nächsten Vormittag die Reparatur erledigt zu haben.
Als er kam, hatte sie schon eine Nacht mit diesem Mann in ihrer Vorstellung im Bett verbracht. Sie scherzte über seinen Dialekt. Das Norddeutsche war nicht zu überhören. Sie bot ihm Kaffee an. Über alles Mögliche unterhielten sie sich, als ob sie sich schon Jahre kennen würden. Bis sie ganz unbewusst auf seine Hände starrte. Die plötzlich ihre Wange streiften und dann auf der Innenseite ihres Armes mit den Fingerkuppen Kreise malten. In diesem Moment begriff sie, sie würden diesem Mann keinen Widerstand leisten. Sie schauten sich in die Augen, wussten, etwas war in ihrem Innersten geschehen. Als er dann mit seinen warmen Fingern ihre Lippen berührte, in unendlicher Sanftheit, raubte ihr das den Atem.
Ohne ein weiteres Wort gingen sie in ihr Schlafzimmer. Als ob es schon immer so war.
Stunden waren vergangen, seit er sich verabschiedet hatte. Sie aber lag immer noch erschöpft und glückselig auf dem feuchten Laken. Alles und Nichts tanzte in ihren Gedanken. Sie war hin und her gerissen zwischen dem Gefühl leidenschaftlicher Hingabe und der Besorgnis, sich ohne Reue genommen zu haben, was ihr im Eheleben versagt geblieben war.
Insgeheim hoffte sie, dass eine Spur von Katzenjammer in ihr aufsteigen würde. Doch nichts dergleichen passierte in den nächsten Tagen. Nur bei dem Gedanken an diesen Mann glänzten ihre Augen verräterisch. Sie wartete auf einen Anruf. Nach vier Tagen kam ihr Liebhaber, wie sie ihn heimlich nannte.
In den ersten zwei Jahren trafen sie sich fast wöchentlich. Manchmal fuhren sie hinaus an den See und liebten sich auf einer Wiese oder bei Regen im Auto. Alles mit ihm war aufregend und verboten schön. Irgendwann sprach sie von der Vorstellung, alles aufzugeben und mit ihm etwas Neues zu beginnen.
Darauf hätte sie verzichten sollen. Er kam zwar weiterhin zu ihr, aber sie spürte, er entzog sich ihr mehr und mehr. Er meinte, er wäre zu alt für einen Neuanfang. Sie begann, auch um seine Zärtlichkeiten zu betteln.
Noch einmal mussten fast drei Jahre ins Land gehen, bis sie die Vertragswerkstatt wechselte.
Nun bereitete sie sich auf ihre Geburtstagsfeier zum Sechzigsten vor. Sie mochte Feierlichkeiten und auch, sich dafür schön machen. Trotz ihres Alters strahlte sie noch immer Weiblichkeit aus.
Viele Gratulanten kamen, um mit ihr zu feiern. Ihr Mann schenkte ihr eine Woche Kurzurlaub mit einer Iglu-Übernachtung in den Schweizer Alpen. Atemlos bezaubernd nannte sie diese Woche, als sie wieder zu Hause war. Doch sie verriet niemandem, wie und mit wem sie diese atemlose Woche verbrachte.

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